Ukraine-Krieg: Auswirkungen auf die öffentliche Bauvergabe

Aufgrund des Ukraine-Krieges sind die Preise vieler Baumaterialien stark angestiegen. Die Auswirkungen auf die öffentliche Bauvergabe veranschaulicht die nachfolgende Übersicht:


1. Künftige Vergabeverfahren

Bei der Einleitung neuer Vergabeverfahren ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) gegeben sind (für Bundesbaumaßnahmen vgl. den ursprünglich bis zum 30.06.2022 befristeten Runderlass des BMWSB vom 25.03.2022, mit Rundschreiben des BMWSB vom 22.06.2022 verlängert bis zum 31.12.2022).


2. Laufende Vergabeverfahren

Bei laufenden Vergabeverfahren ist zu unterscheiden, ob die Angebotsfrist noch läuft oder nicht:

  • Angebotsfrist läuft noch

Der Bieter kann bis Ablauf der Angebotsfrist sein Angebot im Hinblick auf die Auswirkungen des Ukrainekriegs zurückziehen und ggf. angepasst mit Risikozuschlägen neu einreichen. Die Vergabestelle kann prüfen, ob die nachträgliche Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) geboten, das Vergabeverfahren deswegen zurückzuversetzen bzw. aufzuheben und neu auszuschreiben ist.

  • Angebotsfrist ist abgelaufen

Der Bieter ist an sein Angebot bis zum Ablauf der Binde- und Zuschlagsfrist gebunden. Er kann sein Angebot in dieser Zeit nicht zurücknehmen. Die Vergabestelle kann prüfen, ob die nachträgliche Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) geboten, das Vergabeverfahren deswegen zurückzuversetzen bzw. aufzuheben und neu ausauszuschreiben ist. Die Vergabestelle hat zudem gem. § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2019 bei Vorliegen dahingehender Anhaltspunkte bzw. auf Hinweis des Bieters aufzuklären, ob wegen bekannter Lieferschwierigkeiten die Vertragstermine und -fristen noch erfüllbar sind und wegen bekannter Materialpreissteigerungen der Angebotspreis nicht unangemessen niedrig ist (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 1, 2 VOB/A 2019). Ist die Aufklärung ist nicht erfolgreich oder liegt ein unangemessen niedriger Angebotspreis vor, ist das Angebot auszuschließen bzw. nicht zu werten.


3. Nach Zuschlagserteilung / Umgang mit bestehenden Verträgen

Grundsatz:

Das Beschaffungs- und Preisrisiko liegt allein beim Auftragnehmer – kein Anpassungsanspruch.

Ausnahmen:

  • Es wurden im Vertrag Vertragsanpassungsklauseln vereinbart (z.B. Preisvorbehalte, Preisgleitklauseln, Force-Majeure-Klauseln).
  • Das Beschaffungs- und Preisrisiko betrifft Anordnungen von geänderten oder zusätzlichen Leistungen (§ 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B) oder Mengenüberschreitungen von mehr als 10 % (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B). In diesem Fall sind die tatsächlichen Mehrkosten bei der Preisanpassung und etwaige Lieferschwierigkeiten bei der Verlängerung der Vertragstermine bzw. -fristen zu berücksichtigen.
  • Terminanpassung gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B:
    Sind Materialien nachweislich und kausal wegen des Ukrainekrieges nicht oder vorübergehend nicht beschaffbar, kann von einem Fall der höheren Gewalt bzw. einem anderen nicht abwendbaren Ereignis im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B auszugehen sein. Voraussetzung ist, dass die Lieferschwierigkeiten unvorhersehbar, nicht auf eine mangelnde Planung oder zu geringe Bestellung/nicht rechtzeitige Vertragsbindung von Lieferanten, Nachunternehmern etc. zurückzuführen ist und dem Auftragnehmer eine anderweitige – gegebenenfalls auch Mehrkosten auslösende – Ersatzbeschaffung und/oder Beschleunigung zur Kompensation der aufgetretenen Bauablaufstörungen (Mehrarbeit/Wochenendarbeit, Einbeziehung anderer Nachunternehmer, Lieferantenwechsel etc.) nicht möglich war. Als Rechtsfolge wird die Ausführungsfrist verlängert um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Materialien zuzüglich eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten (§ 6 Abs. 4 VOB/B).
  • Preisanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB:
    • Zuschlagserteilung/Vertragsabschluss nach Beginn des Ukrainekrieges: Grundsätzlich kein Anpassungsanspruch.
    • Zuschlagserteilung/Vertragsabschluss vor Beginn des Ukrainekrieges: Im Einzelfall kann ausnahmsweise ein Preisanpassungsanspruch bestehen, wenn eine so erhebliche Störung des Vertragsgefüges vorliegt, dass dem Auftragnehmer ein Festhalten am Vertragspreis schlicht unzumutbar ist (Kostensteigerung bezogen auf das Gesamt-Vertragspreisniveau von mehr als 20 %, wobei nach BGH-Ansicht stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist). Im Falle einer Preisanpassung gem. § 313 BGB sind ggf. die Grenzen von § 132 GWB bzw. § 22 EU VOB/A zu beachten.